Zur Geschichte des Literarischen Museums Badenweiler

Am 15. Juli 2015 wurde das Literarische Museum Badenweiler „Tschechow-Salon“ neu eröffnet. Es befindet sich nun zentral im historischen Ortskern, im Rathaus am Anton-Tschechow-Platz und zeigt sich thematisch erweitert und modernisiert.

Tschechow-Salon im Kurhaus
Innenansicht des alten Tschechow-Salon im Kurhaus

Das erste Literarische Museum „Tschechow-Salon“ wurde 1998 im Kurhaus Badenweiler eröffnet. Es war das einzige Museum Westeuropas, das den Namen des weltbekannten russischen Schriftstellers und Dramatikers Anton Pawlowitsch Tschechows (1860-1904) führte, der 1904 im Heilbad Badenweiler verstorben war.Diese besondere Tradition, in Deutschland in dieser Form der Verbindung mit Russland singulär, wird auch durch das neue Museum weitergeführt.

Der neue „Salon“ zeigt darüber hinaus Erfahrungsräume, Exponate sowie Film- und Tondokumente zu Leben, Werk und Wirkung von 24 weiteren, zum Teil gleichfalls international bedeutsamen Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Sie alle waren oder sind mit Badenweiler verbunden.

Über seine Veranstaltungplattform „Internationales Literaturforum Badenweiler“ lädt das Museum jedes Jahr zu Sonderprogrammen ein: Lesungen, Vorträgen, Theateraufführungen, Ausstellungen oder Konzerten.

Die Geschichte des Museums – ein einzigartiges Szenario internationaler Gedenkkultur

Tschechow-Denkmal am Burgberg

1908, vier Jahre nach Tschechows Tod in Badenweiler, wurde am Burgberg das weltweit erste Tschechow-Denkmal errichtet. Es war eine Initiative russischer Verehrer. An der Spitze standen der Leiter des berühmten Moskauer Künstlertheaters, Konstantin Stanislawski (1863-1938) und der damalige kaiserlich-russische Botschafter, Baron Dmitri von Eichler.
Damit wurde der Grundstock für eine transnationale Gedenk- und Begegnungstradition gelegt, die – mit Unterbrechungen durch die beiden Weltkriege und den Faschismus – bis heute gepflegt wird. 

1954 wurde mitten im „Kalten Krieg“ der beiden Blockmächte von West- und Osteuropa, in Badenweiler die erste Tschechow-Gedenkfeier nach dem Zweiten Weltkrieg abgehalten. Damit entstand auch der Kern des heutigen Literaturarchivs, das ab 1956 als „Tschechow-Archiv“ bekannt wurde und als Materialbasis des heutigen Museums dient.

Ulrich Schmalz, Gallina Schtschoboljewa
Die Direktorin des Tschechow-Museums in Moskau, Gallina Schtschoboljewa, übergibt 1979 im Auftrag der Sowjetunion dem Kursekretär Badenweilers, Ulrich Schmalz, eine Kiste mit 48 extra für Badenweiler angefertigter Großfotos von Tschechows Leben und Werk

Ein damaliger Aktenvermerk des Gemeinderates beschreibt das Ziel dieses Archivs: die Dokumentation der Anstrengungen Badenweilers zur „Aussöhnung mit dem ehemaligen Kriegsgegner Sowjetunion“. Es war ein hohes Ideal, das Badenweiler zu einem früh engagierten Ort des (west-) deutschen Kulturaustauschs mit Russland werden ließ.

Zu den frühen Glanzstücken des Archivs zählen zum Beispiel:

  • die Akten und Fotografien zur ersten Denkmalsweihe und
  • eine umfangreiche Zeitungsartikelsammlung aus dem Jubiläumsjahr zum 100. Geburtstag 1960. Sie zeigt, wie Tschechow vom Satiriker und gesellschaftskritischen Autor des 19. Jahrhunderts zum Mitbegründer der literarischen Moderne umgewertet wurde.
Gallina Schtschobolewa, Direktorin des Tschechow-Museums und der Gedenkstätte in Moskau mit Kursekretär Ulrich Schmalz und Dr. Stahl am Tschechow-Stein 15.7.1979. Schtschobolewa begleitete damals den Transport des großen Bildergeschenkes der Sowjetunion n
Gallina Schtschobolewa, Direktorin des Tschechow-Museums und der Gedenkstätte in Moskau mit Kursekretär Ulrich Schmalz und Dr. Stahl am Tschechow-Stein 15.7.1979.

1963, kurz nach der Kuba-Krise, wurde der „Tschechow-Gedenkstein“ am Schwanenweiher enthüllt, ein erstes Zeichen der Hoffnung auf Entspannung der schwierigen deutsch-sowjetischen Beziehungen. Seither ist kein Jahr vergangen, ohne dass Tschechow in Badenweiler gewürdigt wurde.

Zeitgleich begann man, Materialien auch zu vier anderen Autorinnen und Autoren zu sammeln, die mit Badenweiler verbunden sind: Stephen Crane (1871-1900), Hermann Hesse (1877-1962), René Schickele (1883-1940) und Annette Kolb (1870-1967).

In der Folge wurden auch für die weiteren 20 Autorennamen des heutigen Museums Bestände zusammengetragen. Als Neuzugang ist Konstantin Stanislawski, Theaterregisseur und –theoretiker sowie Mitbegründer des berühmten Moskauer Künstlertheaters, hervorzuheben. Seine vielfältigen und intensiven Verbindungen zu Badenweiler sind erst in den letzten Jahren bekannt geworden. Insgesamt wurden bis heute über 30.000 Archivalien in Form von Büchern, sonstigen Publikationen, Manuskripten, Bildern, Fotografien u.a. zusammengetragen.
Zudem wurde auch die Altsammlung von Stahlstichen, Lithographien und Postkarten, mit denen seit dem 17. Jahrhundert der Kurort europaweit auf sich aufmerksam machte, wesentlich erweitert.

Das Museum – Basis für kulturelle und wissenschaftliche Kooperationen zwischen Deutschland und Russland

1985 fand in Badenweiler das erste „Internationale Literaturwissenschaftliche Čechov-Symposium“ statt. Es wurde vom Slavischen Seminar der Universität Tübingen (Prof. Dr. Rolf-Dieter Kluge) organisiert und führte über 100 Referenten aus 21 Ländern zusammen.

1994 wurde das zweite Symposium ausgerichtet. Dabei stellte man erstmals das Tschechow-Archiv vor. Der weitgehend unbekannte Sammlungsbestand führte sofort zur Idee , mit ihm eine Dauerausstellung zu gestalten. Eine Idee, die zwei Jahre später auf Initiative von Bürgermeister Karl-Eugen Engler zum Gründungstreffen für ein richtiges Museum führte.

Unter Englers Amtszeit wurde von dem Tübinger Slavisten Heinz Setzer das erste Museum konzipiert und mit finanzieller Unterstützung des Landes Baden-Württemberg und der Kulturstiftung der Deutschen Bank eingerichtet. Es wurde am 21.7.1998 eingeweiht.

1999 gründete dessen Leiter Setzer das „Internationale Literaturforum Badenweiler“ als Veranstaltungsplattform des Museums, das bisher weit über 300 Literaturveranstaltungen durchführte.

Museum und Kommune entfalteten hierdurch eine nationale und internationalen Strahlkraft, was zur Gründung weiterer Institutionen führte:

2002 wurde die Kulturpartnerschaft Badenweilers mit Tschechows südrussischer Heimatstadt Taganrog unterzeichnet.

2007 wurde der Stephen Crane-Forschungspreis der Universität Freiburg und Badenweilers ins Leben gerufen.

2009 wurde in Badenweiler die „Deutsche Tschechow-Gesellschaft e.V.“ (DTG) gegründet, die seither eng mit dem Museum kooperiert.

Zudem wurde das Museum Mitglied in vielen literarischen Vereinigungen, so etwa der „Arbeitsgemeinschaft literarischer Gesellschaften“ (ALG) in Berlin, der „Arbeitsgemeinschaft literarischer Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg“, dem „Baden-württembergischen Museumsverband“ und der „Internationalen Gemeinschaft der Tschechow-Museen und Bibliotheken in Russland, der Ukraine und Deutschland“ sowie der „Turgenev-Gesellschaft Deutschland e. V.“ in Baden-Baden. Es wurden enge Kontakte zu sämtlichen Tschechow-Orten Russlands geknüpft, von Moskau und dessen Umland über Südrussland und der Krim bis hin zur fernöstlichen Insel Sachalin. Meist führten diese Verbindungen durch Leihgaben und Schenkungen zu wesentlicher Bereicherung der eigenen Archivbestände.

Badenweilers literarische Denkmäler – Knotenpunkte der internationalen Politik- und Kulturgeschichte

Die literarischen Denkmäler Badenweilers bilden den Außenbereich des Museums und befinden sich im Ortszentrum sowie im Kurpark. Diese Denkmäler sind nicht nur kulturgeschichtlich und politisch von großer Bedeutung, sondern besitzen auch symbolische Ausdruckskraft.

Dies galt bereits für das erste Tschechow-Denkmal (geschaffen vom russischen Honorarkonsul und Künstler Nikolaj von Schleiffer) am Burgberg, dessen Platz wegen seiner prächtigen Fernsicht in die Rheinebene bereits 1908 als „schönste Stelle Badenweilers“ galt. Bis zu seiner Zerstörung im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs (1918) diente das Denkmal als Treffpunkt für internationale Begegnungen.

1992 wurde eine neue Tschechow-Büste (Künstler: Wladimir Tschebotarjow) auf dem alten Denkmalssockel enthüllt. Dieses neue Tschechow-Denkmal - eine Schenkung der Tschechow-Verehrer von der fernöstlichen russischen Insel Sachalin - ist zugleich ein Symbol für die „Perestrojka“ und für den historischen Einschnitt der Neuordnung Europas nach dem Untergang der Sowjetunion.

Der schlichte „Tschechow-Gedenkstein“ am Schwanenweiher wurde 1963 als Ersatz für das vernichtete erste Denkmal errichtet. Ebenso tragen die marmorne Gedenktafel (1908) und das „Möwe-Denkmal“ sowie das Tschechow-Medaillon am Tschechow-Platz (2004, beide Arbeiten von Künstler Alexander Taratinow, Moskau), der Kirschbaum des „Symbolischen Kirschgartens“ (2004) am Burgberg große Bedeutung für die deutsch-russischen Beziehungen der Nachkriegszeit.

Tschechow-Büste Sergej Issakow
Tschechow-Büste von Sergej Issakow

Ein großes, künstlerisch komplexes Tschechow-Denkmal (Künstler: Sergej Issakow, Rostow-am-Don) wurde aus Sicherheitsgründen im Foyer des Museums aufgestellt. Dieses Denkmal erhielt durch die weltpolitischen Ereignisse der letzten Jahre besondere Bedeutung: Als Geschenk der Duma der südrussischen Stadt Rostow-am-Don wurde es – durch Zufall – gerade am Tag der Veröffentlichung der Wahlergebnisse zur Angliederung der Krim an Russland 2014 übergeben. Für Badenweiler steht es dennoch nicht als Endpunkt einer 25-jährigen Phase der Annäherung Russlands und Westeuropas, sondern als Brückenpfeiler, um die Kontakte nach Russland weiter auszubauen.

Der René-Schickele-Brunnen in der Kanderner Straße und die Stephen Crane-Gedenktafel am Zöllin-Platz zeigen, dass die Verbindungen des Heilbads nicht nur gen Osten gehen: Beide symbolisieren die Verbindungen mit der französischen bzw. der nordamerikanischen Kultur.

H. S.