KONSTANTIN STANISLAWSKI

Konstantin Stanislawski (17.1.1863-7.8.1938, eigentlich K. Alexejew)

In den letzten fünf Jahren hat sich, ausgehend von Tschechow, noch ein weiterer Name von kulturellem Weltrang in die Russlandbeziehungen Badenweilers eingefügt: derjenige Konstantin Stanislawskis, des großen Theaterreformers und Mitbegründers der Theatermoderne in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Weltweit gibt es wohl keine Bühne, keine Theaterakademie, keine seriöse theoretische und praktische Beschäftigung mit der Theatergeschichte im 20. Jahrhundert, die ohne die Würdigung des „Systems“ Stanislawskis und seiner Inszenierungsmethoden auskäme. Sie gelten heute als das „Einmaleins der Bühnenkunst“.

Das Literaturmuseum Badenweiler plant deswegen zu seinem 80. Todesjahr 2018 eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit vielen russischen Institutionen.

Konstantin Stanislawski
Konstantin Stanislawski

Bislang war nur bekannt, dass Stanislawski ein Großteil des Verdienstes der Errichtung des weltweit ersten Tschechow-Denkmals in Badenweiler zukommt, was die nachfolgende Tschechow-Gedenktradition im Kurort überhaupt begründete, sowie dass er 1929 nochmals zum 25. Todesjahr Tschechows zusammen mit dessen Witwe, Olga Knipper-Tschechowa, in Badenweiler weilte.

Schon um 1900 hatte sich ein enges Beziehungsgeflecht Tschechows zu Stanislawski, dem künstlerischen Leiter des Moskauer Künstlertheaters, ergeben, zählte Olga Knipper, die spätere Ehefrau Tschechws, doch seit 1898 als Starschauspielerin zur Truppe des Theaters, wo der Schriftsteller sie auch bei den Proben zu seiner Komödie „Die Möwe“ kennengelernt hatte.

Durch neue Erkenntnisse können die Bedeutung von Stanislawskis Badenweiler-Aufenthalten sowie die der kulturellen Kontakte des Kurortes mit Russland neu bewertet werden.

Nach seinem ersten Aufenthalt 1908 im Kurort zur Tschechow-Denkmalseinweihung hat Stanislawski von 1928 bis Ende 1932 über 13 Monate seines Lebens in Badenweiler verbracht, hinzu kommt noch ein Aufenthalt bereits 1923 in der Nähe, in Freiburg. Ab 1933 verhinderte die Machtübernahme der Nationalsozialisten weitere Deutschlandbesuche.

Diese Aufenthalte fielen in die Zeit des ersten Fünfjahresplanes der Sowjetunion, als linksradikale Kräfte und die frühen Repressionen Stalins sowohl der bürgerlichen als auch der avantgardistischen Theatertradition die Theaterarbeit in Moskau schwer und teilweise unmöglich machten.

Badenweiler wurde deshalb durch Stanislawski zu einer Art westeuropäischer Organisationsfiliale des Moskauer Künstlertheaters.

Ein Standort, den Stanislawski nicht nur seiner Herzschwäche wegen gewählt hatte, sondern weil er im Kurort gemeinsam mit seiner Frau, der Schauspielerin Lilina, in freundschaftlicher, teils russischsprachiger Umgebung leben und arbeiten konnte. Von hier aus versuchte er postalisch, per Telegraf sowie durch Besuche seiner SchauspielerkollegInnen seine drei Theater (Künstlertheater, Studiobühne, Opernbühne) in Moskau „fernzusteuern“.

In Badenweiler schrieb er auch einen Großteil seines zweibändigen Hauptwerks zu seinem theaterpraktischen und -theoretischen „System“: „Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst“, an dem er in Moskau bis an sein Lebensende 1938 weiter arbeitete. Zudem erreicht ihn 1928 in Badenweiler die größte deutsche Ehrung für sein Theaterlebenswerk, die Wahl zum Ehrenmitglied des Deutschen Theaters durch Regisseur Max Reinhardt und dessen Ensemble in Berlin.

Das russische Netzwerk der Familie Schwoerer

Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch der Arzt Dr. Alexander Schiwago (1860-1940) aus der Moskauer großbürgerlichen Kaufmannsfamilie Schiwago, sowie der ehemalige Großherzogliche Badearzt in Badenweiler, Hofrat Dr. Josef Schwoerer (1869-1943), der Arzt Anton Tschechows und spätere Hausarzt Stanislawskis, der mit Schiwagos jüngster Schwester Elisabeth verheiratet war und enge Kontakte mit Russland pflegte. Diese Dreiecksbeziehung wirft ein bislang völlig unbekanntes Licht auf die Verbindungen Badenweilerer Familien mit Russland. Sie wurde erst nach der kürzlich erfolgten Entdeckung des photographischen Nachlasses von Dr. Schiwago im berühmten Staatlichen Puschkin-Museum für Bildende Kunst in Moskau möglich. Schiwago hat bei seinen Verwandtenbesuchen in Badenweiler um 1906/07 viele Stereophotos (!) von der Landschaft und ihren Bewohnern gemacht, heute ein dokumentarischer Schatz.

H.S.