STEPHEN CRANE

Stephen Crane. *1.11.1871 in Newark, New Jersey, USA, † 5.6.1900 in Badenweiler
Die Namen zweier Schriftsteller verbinden Badenweiler mit der literarischen Moderne: der des Russen Anton Tschechow (29.01.1860-15.07.1904) und jener des Amerikaners Stephen Crane. Beide kamen sie als Tuberkulose-Patienten im letzten Krankheitsstadium in das für seine medizinische Betreuung renommierte Badenweiler, doch für eine Reaktivierung der Selbstheilungskräfte des Körpers – damals die einzige Möglichkeit, TBC zu bekämpfen – war es für beide zu spät.
Tschechows Werk begann nach seinem Tod das Literatur- und Theatergeschehen weltweit bis heute zu prägen, Stephen Crane hingegen wurde nach seinem Tod weitgehend vergessen.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde erkannt, wie bedeutsam sein Werk auf die moderne amerikanische Literatur gewirkt hatte.
Vor allem die Romane „Maggie – a Girl of the Street“ (Maggie – das Straßenkind / Maggie – das Straßenmädchen), 1893 als 21-Jähriger publiziert und „The Red Badge of Courage“ (übersetzt als: Das Blutmal / Das rote Siegel / Die Flagge des Mutes / Die rote Tapferkeitsmedaille), zwei Jahre später entstanden, sowie seine Prosaerzählungen "The Open Boat" (Das offene Boot), "The upturned face“ (Das starrende Gesicht) oder "The Blue Hotel" (Das blaue Hotel) bestimmen die literaturgeschichtliche Bedeutung Cranes als Wegbereiter der Moderne, hatte er doch damit thematisch, weltanschaulich und stilistisch Neuland betreten und die Gesellschaft seiner Epoche herausgefordert.
Cranes rigoroser Realismus, sein philosophischer Skeptizismus wie sein modernes Sprachgefühl zeigen sich auch in seinen Gedichten:
A man said to the universe
„Sir, I exist!“
„However“, replied the universe
"The fact has not created in me
a sense of obligation.“
Ein Mensch sagte zum Universum:
„Herr, ich existiere!“
„Allerdings“ antwortete das Universum,
„hat diese Tatsache in mir keinerlei
Gefühl von Verpflichtung entstehen lassen.“
(aus: „War is kind“, 1900, Übers. H. S.)
Stephen Crane wird in Newark, New Jersey, als das 14. Kind des Methodistenpfarrers Jonathan Townley Crane und seiner in der Anti-Alkoholismusbewegung aktiven, und christliche Traktate verfassenden Ehefrau Mary Helen, geb. Peck, geboren. Sie bringt ihren Sohn Stephen schon als Schüler dazu, journalistische Beiträge zu verfassen. Crane ist auf seine bis zu Sir Francis Drake zurückreichende rebellische Ahnenreihe stets stolz, er selbst revoltiert gegen die methodistische Strenge seines Elternhause ebenso wie gegen das ohne jeden Eifer besuchte Lafayette College und die Syracuse University, welche von seinem Großvater mitbegründet worden war.
Nach dem Tod seiner Mutter 1891 - sein Vater war schon früher verstorben - bricht er sein Studium ab, zieht nach New York und führt im Elendsviertel „Bowery“ das exzessive Leben eines Bohemiens und Abenteurers, der allerdings beschlossen hatte, Schriftsteller zu werden. Zum Überleben beginnt er bei der „New York Harold Tribune“ zu schreiben, seine scharfen Satiren finden keineswegs immer Zustimmung. Sogar mit dem New Yorker Polizeichef Theodore Roosevelt, dem späteren amerikanischen Präsidenten, legt er sich an.
Romane und Erzählungen
1893 lässt Crane seinen Romanerstling – „Maggie, a Girl of the Street“ – auf eigene Kosten und unter Pseudonym drucken, nachdem sich für das gesellschaftskritische Thema kein Verleger gefunden hatte. Crane beschreibt darin Armut, Gewalt und Trunksucht des Armenviertels „Bowery“, welche dazu führen, dass die junge Maggie, die von einer romantischen Liebe träumt, verführt, sitzengelassen, von der eigenen Mutter in die Prostitution getrieben wird und endlich im Selbstmord endet. „Maggie“ bedeutet den Beginn eines literarischen Realismus in den USA, der die Moderne einläutet. Erst durch Crane sollte die bisher verachtete Verbindung von Journalismus und ernsthaftem Schriftstellertum zu einer besonderen Qualität der amerikanischen Literatur werden, die später auch vor allem Ernest Hemingway vertrat.
Die „Rote Tapferkeitsmedaille“ war zunächst als Zeitschriftenroman gedacht, der, auf der Welle der Nostalgie des Bürgerkriegs reitend, Crane finanziell sanieren sollte, was auch zeitweise gelang.
Der Roman gilt als Meisterwerk. Veteranen und Lesern von Kriegsromanen erschien er als eine typische Initiationsgeschichte, die den jungen Helden Henry Fleming nach panischer Flucht beschämt zu seinem Regiment zurückkehren und, gereift, zum Mann werden lässt. Als Roman der Moderne spielt er so ironisch mit Erzählperspektiven, dass Flemings Heldentaten auch als blindwütiges Draufgängertum gelesen werden können, und er am Schluss des Romans ebenso verblendet ist wie am Anfang.
Die direkte Sprache und die kraftvolle Bildhaftigkeit des Romans lassen Crane in den USA und England daraufhin zum literarischen „Wunderkind“ werden, die Kritik stellt seinen Roman ebenbürtig an die Seite der Kriegsbeschreibungen Leo Tolstojs und Stendhals. Nach diesem Triumph geht Crane als Journalist in den „Wilden Westen“, nach Mexiko, dann nach Florida, wo er sich leidenschaftlich in die geschiedene Cora Taylor (1868-1910), Besitzerin eines Vergnügungsetablissements, verliebt. Bis zu seinem Tod wird sie seine Lebensgefährtin bleiben, beide treten, auch in Badenweiler, als Ehepaar auf, ohne dass sie allerdings wohl wirklich verheiratet waren.
1897 fährt Crane mit dem Blockadebrecherschiff „Commodore“, das Munition und Waffen transportiert, nach Cuba, um vom spanisch-amerikanischen Krieg zu berichten und um endlich echte Kampferfahrungen zu machen. Doch wenige Meilen vor der Küste Florida sinkt die Commodore, vier Tage treiben er und drei andere Männer in einem Rettungsboot auf dem offenen Meer. Die daraus erwachsene Erzählung „Das offene Boot“ gilt als Meisterleistung des literarischen Naturalismus. Crane zeigt vor allem das innere Erleben seiner Protagonisten, welche einer majestätisch-schönen, aber völlig indifferenten und tödlichen Naturgewalt gegenüber stehen, der sie nur durch menschliche Gemeinsamkeit trotzen können.
Der Kriegskorrespondent

Kurz danach ist er als Kriegskorrespondent mit Cora in Griechenland, um vom Befreiungskampf gegen die Türken zu berichten, anschließend lassen sich beide in der Nähe Londons in einem Landhaus nieder, wo sie mit fast allen bekannten im Umkreis wohnenden Autoren wie Joseph Conrad, Henry James, Ford Maddox Ford, H.G. Wells und anderen in freundschaftliche Kontakte treten und rauschende Partys geben. Crane schreibt intensiv, es entstehen in den Jahren 1897/98 eine ganze Reihe herausragender Erzählungen wie „The Monster“ [Das Ungeheuer], „The Blue Hotel“ [Das Blaue Hotel] oder „The Bride Comes to Yellow Sky“ [Die Braut kommt nach Yellow Sky]. Immer geht es Crane um kollektive Gewalt, Schuld und die Verantwortung des Einzelnen.
Allerdings überfordert der aufwändige Lebensstil Cranes finanzielle Möglichkeiten bei weitem. Ein Ausweg scheint sich zu bieten, als er 1898 für den bekannten Verleger Pulitzer erneut als Kriegsjournalist nach Cuba geht und seinen Ruf als einer der besten amerikanischen Kriegsjournalisten festigen kann. Doch seine Gesundheit ist bereits angeschlagen, während des Krieges erkrankt er zudem an Malaria.
Letzte Monate in England
Erst 1899 kehrt er zu Cora nach England zurück, beide beziehen das heruntergekommene mittelalterliche Herrenhaus „Brede Place“ in Sussex, wo das Leben mit Dienern, Hunden und freizügiger Gastfreundschaft weiter geführt und der finanzielle Rückhalt schnell wieder aufgezehrt wird. Der Londoner Publizist Robert Barr schreibt damals, dass Crane „vielleicht das größte Genie ist, das Amerika seit Edgar Allan Poe hervorgebracht hat“. Crane schreibt (posthum veröffentlicht) die auf Jugenderfahrungen zurückgehenden „Whilomville Stories“, einen neuen Gedichtband („War is Kind“), einen Roman zum griechisch-türkischen Krieg („Active Service“), Erzählungen über den Krieg in Cuba und beginnt intensiv am Roman „The O’Ruddy“ zu arbeiten, einem im mittelalterlichen Irland angesiedelten Abenteuerroman, mit dem er hofft, seine Schulden tilgen zu können. Bei einem exzessiven Fest zum Jahrhundertwechsel mit den literarischen Freunden erleidet Crane am 29.12.1900 einen ersten Blutsturz und das Fieber kehrt zurück. Nur halbwegs genesen stürzt er sich wieder in die Arbeit am „O’Ruddy“. Sogar zum Notwendigsten fehlt mittlerweile das Geld und Cora bittet Freunde, Bekannte und den amerikanischen Botschafter um Hilfe, im April folgen weitere Blutstürze. Anfang Mai raten die Ärzte dringend als letzten verzweifelten Rettungsweg zu einer Kur im Schwarzwald. Freunde sammeln daraufhin für den Schriftsteller.
Das Ende in Badenweiler
Am 15.05.1900 brechen er und Cora, begleitet von Nichte Helen, zwei Pflegerinnen, einem Diener und dem Lieblingshund Sponge nach Dover auf. Dreizehn Tage später erreichen sie Badenweiler und beziehen Quartier in der Villa Eberhardt, wo Dr. Fraenkel die Behandlung übernimmt. Dieser hat kaum Hoffnung auf Genesung und wundert sich, warum man die Tuberkulose nicht bereits im Dezember diagnostiziert habe. Obwohl es Crane immer schlechter geht, diktiert er, teils im Fieberwahn, Cora Episoden zum „O’Ruddy“. Am 05. 06.1900 stirbt der 28-jährige um 3 Uhr morgens.
Sein einbalsamierter Leichnam wird unter Fürsorge des amerikanischen Konsuls Leifeld in Freiburg über Basel und Brüssel nach London gebracht, wo er vor dem Transport in die USA aufgebahrt wird. Am 28.06.1900 wird Crane in Hillside, New Jersey, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, beigesetzt. Der unabgeschlossene Roman „O’Ruddy“ wird posthum von R. Barr vollendet.
Mit seinem Tod gerät Crane in Vergessenheit, erst in den 1920-er Jahren würdigen Schriftsteller, allen voran Ernest Hemingway, seine wegweisenden literarischen Leistungen, zudem erscheint eine 12-bändige Gesamtausgabe
Cranes Wiederentdeckung als Autor und Badenweiler
Doch die eigentliche literarische Wiederentdeckung Cranes setzt erst ab den 1950er Jahren ein, zeitgleich erinnert man sich auch in Badenweiler wieder an den Schriftsteller. Intensiv sucht die Gemeinde in Zusammenarbeit mit dem Amerika-Haus in Freiburg nach Zeugnissen seines Aufenthaltes und schließt Kontakte zur ersten Crane-Society, zu Botschaften, Museen und Universitäten in den USA.
1956 wird die erste Crane-Feier Badenweilers organisiert, Zeitungen und Rundfunk berichten ausführlich über Crane und seinen Sterbeort. Sogar ein Crane-Denkmal als Symbol der deutsch-amerikanischen Freundschaft ist geplant, scheitert aber an den Kosten. Fast alle in USA auf Deutsch publizierenden Zeitungen und Zeitschriften bringen Reportagen über die Gedenkaktivitäten des Kurorts, der nun auch verstärkt deutsche und amerikanische Literaturwissenschaftler anzieht. Weitere Gedenkfeiern folgen 1971, 1980 und 1991. Im 1998 eröffneten Literarischen Museum „Tschechow-Salon“ erhält Crane auf der Grundlage des gesammelten Archivmaterials eine eigene Abteilung. Zum 100. Todestag im Jahr 2000 wird der Kurort in Zusammenarbeit mit den Leitern der Amerika-Häuser in Freiburg i. Br. und Frankfurt/M., dem Gründer und Präsidenten der neuen Crane-Society in den USA, Prof. Paul Sorrentino, dem Präsidenten der Deutsch-Amerikanischen Gesellschaft und weiterer Crane-Forscher, Schauplatz der größten Crane-Gedenkfeier auf dem Kontinent, zu der die Gemeinde Badenweiler vor seinem Sterbehaus eine bronzene Gedenktafel enthüllt.
Der Stephen Crane-Forschungspreis
Seit 2007 vergibt die Gemeinde Badenweiler auf Initiative des Freiburger Amerikanisten Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck als Gemeinschaftsprojekt des Englischen Seminars der Albert-Ludwigs-Universität und der Gemeinde Badenweiler (fachlich vertreten durch das Literarische Museum Badenweiler „Tschechow-Salon“) alle zwei Jahre den Stephen Crane-Forschungspreis für nordamerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften. Zur Preisjury gehören außer den bereits genannten Institutionen das deutsch-amerikanische Institut „Carl-Schurz-Haus“ in Freiburg sowie die Stephen Crane-Society der USA, vertreten durch ihren deutschen Repräsentanten. Das Verleihungsdatum liegt jeweils in zeitlicher Nähe zu Cranes Geburtstag am 1. November.
In den Zwischenjahren wird ein Vortrag zu Crane oder zu Themen der nordamerikanischen Kultur- und Literaturwissenschaft durchgeführt. Neben dem eigentlichen Forschungspreis werden zudem Ehrenpreise (nominee awards) verliehen.
Heinz Setzer